Aktivlegitimation beim Verkehrsunfall von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht Tilo Neuner-Jehle Stuttgart

Die Aktivlegitimation beim Verkehrsunfall

Von der gegnerischen Versicherung wird im Zeifel bei einem Verkehrsunfall so ziemlich alles bestritten was irgendwie geht. Und im Falle einer Klage gegen diese Versicherung steht ganz am Anfang das Bestreiten der sog. Aktivlegitimation, d.h. es wird bestritten, dass der Kläger/-in berechtigt sei, die Schadenspositionen aus dem Verkehrsunfall geltend zu machen.

 

Aktivlegitimiert ist der Kläger/-in immer dann, wenn er Inhaber des geltend gemachten Anspruchs ist. 

 

Wie aber, wenn das Fahrzeug finanziert wurde, es sich um ein Leasingfahrzeug handelt, oder gar dem Ehepartner oder beiden, z.B. Kläger und Ehefrau gehört ?

 

Hierzu nachfolgend eine kleine Anleitung mit dem Einwand der Schädigerversicherung, es fehle die Aktivlegitimation richtig umzugehen. Es wird hier auf den Aufsatz in Verkehrsrecht aktuell von VRiOLG a.D. Dr. Christoph Eggert (VA 18, 152 ff) verwiesen, welcher nachfolgend wiedergegeben wird.

Grundsätzliches zur Aktivlegitimation = Klagebefugnis:

  1. Der Kläger muss bei Erhebung eines Anspruchs seine Aktivlegitimation (Klagebefugnis) darlegen und notfalls beweisen.
  2. Zunächst gilt hier jedoch grundsätzlich die Eigentums-vermutung des § 1006 I S. 1 BGB zugunsten des Klägers. Ob und unter welchen Voraussetzungen dem Kläger diese zugute kommt ist jedoch in der Rspr. umstritten.
  3. Fehlt dem Kläger diese Aktivlegitimation oder kann er sie nicht beweisen, so ist die Klage als unbegründet (nicht unschlüssig) abzuweisen.
  4. Grundsätzlich ist jedoch der Inhaber einer Forderung berechtigt, diese im eigenen namen klagweise geltend zu machen. Ist er Inhaber dieser Forderung, dann ist er auch aktivlegitimiert und somit auch prozessführungsbefugt.
  5. Ist der Kläger jedoch nicht Inhaber der Forderung, weil an die Bank zur Sicherung abgetreten, ein Leasingfahrzeug vorliegt, oder eine Abtretung z.B. der Reparaturrechnung an die Reparaturfirma vereinbart wurde, stellt sich die Frage, wie damit im Gerichtsprozess umzugehen ist ?
  6. Prozessstandschaft: Voraussetzung einer gewillkürten Prozessstandschaft ist zum einen die Ermächtigung des Rechtsinhabers (die Schadensposition geltend zu machen), aber zum anderen auch ein eigenes schutzwürdiges Interesse des Ermächtigten / Kläger (dazu mehr in BGH Urt.v. 07.03.17 -VI ZR 125/16-, VA 17, 115).
  7. Einziehungsermächtigung: Der Ermächtigte / Kläger ist hier materiellrechtlich befugt, die -ihm nicht übertragene- Forderung im eigenen Namen geltend zu machen; auch gerichtlich (= gewillkürte Prozessstandschaft).
  8. Ansprüche aus § 7 I, § 18 I StVG: Inhaber des Anspruchs aus diesen Normen und damit aktivlegitimiert ist nicht nur der Eigentümer/Miteigentümer des beschädigten Fahrzeugs. Auch der berechtigte Besitzer kann Verletzter i.S.d. § 7 I StVG sein (ständige Rspr. des OLG Düsseldorf Urt.v. 21.06.16 -I-1 U 158/15-, juris - Leasingnehmer). Gleiches gilt für den Anspruch aus § 18 StVG. Wer ausschließlich Halter des Fahrzeugs ist, ist nicht aktivlegitimiert nach §§ 7, 18 StVG.
  9. Ansprüche aus Delikt: Zu dem geschützten Rechtsgut nach § 823 I BGB zählt nach ständiger Rspr. (BGH NZV 17, 25 Tz. 20) auch der berechtigte Besitz, unerheblich ob Eigen- oder Fremdbesitz.  Aber auch der Mitbesitz (OLG Celle Urt.v. 09.10.13, -14 U 55/13- Abruf-Nr. 133275) und der mittelbare Besitz sind deliktsrechtlich geschützt. Nach § 823 II BGB ist derjenige ersatzberechtigt, dessen Schutz die verletzte Norm bezweckt. Das kann neben dem Eigentümer auch der berechtigte Besitzer sein.
  10. Das Bestreiten der Aktivlegitimation kann auch treuwidrig sein, wenn dies erstmals im Prozess eingewandt wird und vorprozessual bereits Zahlungen des Versicherers an den "Geschädigten" erfolgt sind. Das kann nach § 242 BGB (treuwidriges Verhalten) zum Verlust des Einwandes der fehlenden Aktivlegitimation führen (KG, Hinweisbeschl. v. 17.07.18 -6 U 15/18- Abruf-Nr. 202833 -Werkstattklage gegen Kasko-VR). Weiterer Ansatz: erhöhte Anforderungen an die Vortragslast des Versicherers (KG Urt.v. 30.04.15 -22 U 31/14)

VRiOLG a.D. Dr. Christoph Eggert (VA 18, 152 ff)

Fehlende Aktivlegitimation wegen Leasingfahrzeug

In einer nicht unerheblichen Zahl von Fällen werden Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom Leasingnehmer geltend gemacht. Auch hier erfolgt regelmässig sowohl aussergerichtlich, wie im Klagverfahren der Einwand der fehlenden Aktivlegitimation mit der Begründung, der Leasingnehmer sei ja gar nicht Eigentümer des Fahrzeuges, dieses gehöre der Leasinggeberin, er habe daher kein Recht Unfallschäden am Fahrzeug und sonstige Schadensersatz-ansprüche geltend zu machen. Hier ist wie folgt zu differenzieren und vorzugehen:

  1. Das Nebeneinander von Ersatzansprüchen folgt typischerweise bei Leasing aus dem Auseinanderfallen von Eigentum und Besitz. Der Leasinggeber (Eigentümer) hat bei einem Verkehrsunfall Ansprüche wegen der Eigentumsverletzung (sog. Substanzschaden). Dem Leasingnehmer stehen jedoch wegen seines Besitzrechtes am Leasingfahrzeug ebenfalls Schadensersatzansprüche wegen Besitzverletzung zu. Ausser seinem Nutzungsschaden kann der Leasingnehmer jedoch auch den Substanzschaden im eigenen Namen geltend machen, sofern er dem Eigentümer = Leasinggeber gegenüber für die eingetretene Beschädigung des Fahrzeuges einzustehen hat (OLG Düsseldorf, Urt.v. 21.06.16 -I-1 U 158/15).
  2. Vorausabtretung: Fahrzeugbezogene Ersatzansprüche des Leasingnehmers gegen Dritte können im Wege der Vorausabtretung auf den Leasinggeber übertragen worden sein, etwa bei Abnahme der Schadensregulierung ("Schadensservice"). Umgekehrt kann auch der Leasingnehmer im Wege der Vorausabtretung Zessionar geworden sein. So oder so hat dies sodann Einfluss auf die Aktivlegitimation.
  3. Ermächtigung des Leasinggebers: Regelmässig wird der Leasingnehmer vom Leasinggeber (widerruflich) ermächtigt und verpflichtet, alle fahrzeugbezogenen Ansprüche aus einem Schadensfall im eigenen Namen und auf eigene Kosten geltend zu machen (vgl. Abschn. X Nr. 4 S. 1 der Leasing-AGB für Neufahrzeuge zur privaten Nutzung). Diese Klausel begründet zwar keine Aktivlegitimation, jedoch eine sog. gewillkürte Prozessstandschaft.
  4. Zession nach dem Unfall: Sowohl der Leasinggeber als auch der Leasingnehmer können ihre Ersatzansprüche wechselseitig, aber auch an Dritte abtreten. Zur Abtretung des Leasingnehmers an seine klagende Ehefrau während des Prozesses s. OLG Düsseldorf, Urt.v. 22.09.03 -1 U 175/02, juris).
  5. Reparaturfall (Teilschaden): Als Substanzschaden aus der Eigentumsverletzung steht dem Leasinggeber ein Anspruch i.H.d. Reparaturschadens zuzügl. Wertminderung zu. Als Nur-Eigentümer hat er aber keinen Anspruch auf Nutzungsausfall. Der Leasingnehmer kann die Reparaturkosten aus eigenem Recht, also auch ohne Zession, ersetzt verlangen.
  6. Merkantiler Minderwert: Die Wertminderung kann grundsätzlich nur vom Leasinggeber geltend gemacht werden (h.M.). Der Leasingnehmer braucht hierzu eine Abtretung oder Ermächtigung (Prozessstandschaft) des Leasinggebers, diese Schadensposition geltend zu machen.
  7. Abschleppkosten, Gutachterkosten, Unkostenpauschale: Diese Positionen können vom Leasingnehmer aus eigenem Recht beansprucht werden.
  8. Nutzungsausfall: Sowohl die anstrakte Nutzungsausfall-entschädigung als auch die Kosten des Mietwagens sind dem Leasingnehmer als Nutzungsschaden zu ersetzen, ebenso ein entgangener Gewinn (dazu OLG Düsseldorf, Urt.v. 21.06.16, -I-1 U 158/15, juris-LKW).
  9. Totalschaden: Der Leasinggeber kann zum Ausgleich seines Substanzschadens die Wiederbeschaffungskosten geltend machen. Ersatz für entgangene Leasingraten steht ihm jedoch nicht zu. Der Leasingnehmer kann zwar kraft eigenen Rechts die für die Wiederbeschaffung eines gleichwertigen Fahrzeugs erforderlichen Kosten ersetzt verlangen (BGH, NJW 92, 553; OLG Hamm NZV 03, 334). Vielfach wird jedoch mit Zessionen oder Ermächtigungen operiert, um bei dieser komplizierten Materie auf Nummer sicher zu gehen. Abstrakte Nutzungsausfallentschädigung, Ersatz für Mietwagenkosten oder ein entgangener Gewinn steht dem Leasingnehmer wie im Reparaturfall zu.

VRiOLG a.D. Dr. Christoph Eggert (VA 18, 152 ff)

Kreditfinanziertes Fahrzeug mit Sicherungsübereignung

Nicht selten werden Fahrzeuge auch gekauft, müssen jedoch über ein Darlehen finanziert werden. In diesen Fällen lässt sich die finanzierende Bank regelmässig das Eigentum am Fahrzeug zur Sicherung abtreten und den Fahrzeugbrief übergeben. Hier verhält es sich ähnlich wie beim Leasing:

  1. Eigentum und Besitz: Regelmässig wird beim Fahrzeugkauf durch Fremdfinanzierung das Eigentum am Fahrzeug zur Sicherheit übertragen. Hier übt sodann der Käufer/Darlehensnehmer am Fahrzeug lediglich noch als quasi Entleiher / Verwahrer den unmittlbaren Besitz aus.
  2. Substanzschaden: Verletzter i.S.d. § 7 StVG und damit aktivlegitimiert ist die Bank als Sicherungseigentümerin. Geschützt ist das Sicherungseigentum auch nach § 823 I BGB (BGH, Urt.v. 07.03.17; -VI ZR 125/16-, VA 17, 115).
  3. Nutzungsschaden: Diesen kann der Darlehensnehmer/ Sicherungsgeber aus eigenem Recht (Besitz und Anwart-schaft) selbst geltend machen.
  4. Vorausabtretung: Ebenso wie beim Leasing ist auch in Fällen des finanzierten Kaufs an die Möglichkeit einer vertraglichen Vorausabtretung zu denken: hier an die Bank. Aufschluss geben hier die Kredit-AGB, die man einsehen sollte.
  5. Gewillkürte Prozessstandschaft: Sie kann aus einer Ermächtigung der Bank resultieren, gleich, ob vor oder nach dem Unfall. Zur Zulässigkeit BGH, Urt.v. 07.03.17, -VI ZR 125/16, VA 17, 115).

VRiOLG a.D. Dr. Christoph Eggert (VA 18, 152 ff)

Die Darlegungs- und Beweislast zur Aktivlegitimation im Klagverfahren wg Schadensersatz aus Verkehrsunfall

Die Darlegungs- und Beweislast zur Aktivlegitimation im Klagverfahren wg Schadensersatz aus Verkehrsunfall

LG Berlin Beschl.v. 07.04.16 -45 S 103/15- Die Verkehrsanwältin 2016, 214

  1. Die Sachenrechtliche Vorschrift des § 1006 BGB ist zwar dazu bestimmt, die Behauptungs- und Beweislast des Besitzers zu verkürzen. Dem Besitzer obliegt es daher grundsätzlich allein, den gegenwärtigen bzw. früheren Besitz als Tatsachenbasis der Vermutung darzulegen und ggf. zu beweisen. Den Besitzer trifft eine sekundäre Behauptungslast über die Umstände des Eigentumserwerbs.
  2. Das Bestreiten mit Nichtwissen gem. § 138 IV ZPO ist allein nicht ausreichend. Hierüber hinaus ist auf die Marktüblichkeit abzustellen, dass bei gewerblichen Fahrzeugen eine Finanzierung oder Leasing üblich ist und hierbei Halter und Eigentümer auseinanderfallen. Eine Darlegung wirtschaftlicher Üblichkeiten beinhaltet insbesondere keinen bloßen Vortrag ins Blaue hinein.